Edvard Grieg in München

von Thomas Herbst


Als am Abend des 2. März 1894 Edvard Grieg zusammen mit seiner Frau Nina aus Leipzig kommend den Schnellzug am Hauptbahnhof in München verlässt und im noblen Hotel „Rheinischer Hof“ gleich gegenüber sein Zimmer bezieht, ist das sein erster Aufenthalt in München, aber nur eine Station auf der Konzertreise durch Europa, die das Paar gemeinsam absolviert.

Nirgendwo lange seßhaft hatte sich Grieg 1885 in Troldhaugen südlich von Bergen am Nordåsvannet eine wunderschön gelegene Villa errichten lassen, die ihm nun als Rückzugsort dienen sollte. Er war aber weiterhin lange Zeit des Jahres unterwegs. Seit 1885 liefen die Jahre bis zu seinem Tod ungefähr nach folgendem Schema ab: Im Frühjahr und Frühsommer komponierte Grieg oder revidierte ältere Werke, im Sommer machte er ausgedehnte Wandertouren in die Berge, oft zusammen mit Frants Beyer, seinem Nachbarn und engsten Freund. Im Herbst und Winter dirigierte Grieg dann auf ausgedehnten Konzertreisen durch ganz Europa ausschließlich eigene Werke, was entschieden zu seiner Popularität beitrug.

Schon 1890 hatte man in München über Hermann Levi Kontakt zu dem norwegischen Komponisten aufgenommen, der den bayerischen Hofkapellmeister und Wagner-Freund vielleicht bei der Ring-Premiere 1876 in Bayreuth oder bei den von ihm geleiteten Parsifal-Aufführungen 1883 kennengelernt hatte. Hofkapellmeister Franz Fischer schlug sogar Termine für ein Konzert in München vor – das scheint dann aber nicht stattgefunden zu haben. Erst 1894 kam wieder Schwung in die Sache, als Franz Kaim, der Gründer der Münchner Philharmoniker (gegründet als Kaim-Orchester), Grieg als Dirigenten für ein Konzert mit seinem Orchester verpflichten wollte. Grieg erinnerte sich nun seines Versprechens an Levi, meldete sich bei ihm und wurde daraufhin von diesem intensiv umworben, sein erstes Konzert in München doch im Rahmen der Musikalischen Akademie zu geben – auch wenn die kaum Geld für Honorare zu verteilen hatte. Trotzdem willigte Grieg ein und stellte ein bunt gemischtes Programm zusammen, das neben den gerade bei Peters erschienenen Stücken aus der Schauspielmusik zu Sigurd der Jerusalemfahrer zwei Liedbearbeitungen für Streichorchester sowie sein populäres Klavierkonzert und – als Schlussstück – die erste der bis heute allbekannten Peer-Gynt-Suiten enthielt.

Auch wenn die Münchner Kritiker bei Griegs Werken Kontrapunkt und kräftiges Temperament vermissten, eine durchgehend wehmütige Stimmung bemängelten und sie mit Werken der Genre-Malerei verglichen, kam das Konzert beim Publikum gut an. Auch in München war besonders die Jugend begeistert, wie Grieg seinem Freund Frants Beyer am 27. März 1894 aus Italien berichtete, wohin er nach einem Konzert in Genf gereist war: „München und Genf waren beide Triumphe für Norwegen! In München, wo die gesamte Jugend nach dem Konzert dablieb und mich 5–6 Mal mit ‚Wiederkommen‘-Rufen um Zugabe bat, da bekam ich, Gott helfe mir, Lust – à la Ole Bull – zur Menge zu sprechen und zum Tutti aufzurufen, um das herrliche Land zu sehen, wovon meine Kunst ein armes Spiegelbild ist. Aber – zum Glück siegte die Vernunft.“


Bildnachweis: Bergen Public Library, The Grieg Archives. https://mitt.bergenbibliotek.no/cgi-bin/websok-grieg?mode=p&tnr=249106&dok=0&pf=kort&side=0