Oper am Telefon (2)
von Thomas Herbst
Nach dem Erfolg bei der Elektrizitätsausstellung blieb die telefonischen Opernübertragung in Frankreich unglaublich beliebt und wurde unter dem Namen Théâtrophone ab 1890 auch kommerziell vermarktet: An Münzapparaten in Hotels, Cafés und anderen öffentlichen Plätzen konnte man die Vorstellungen im Theater verfolgen. Im Deutschen Reich und in Österreich dagegen blieb sie zum größten Teil auf die spektakulären Ausstellungen beschränkt und nur wenige ließen sich einen Anschluss einrichten. In München beispielsweise gab es Anfang des 20. Jahrhunderts zwei Leitungen vom Nationaltheater ins Deutsche Museum und je eine in die Wohnungen von Prinz Heinrich, Prinz Konrad und in die des Hoftheaterintendanten Ernst von Possart.
Erst 1924 kam in Bayern wieder Schwung in die Sache. Ausgehend von der Überlegung, die doch recht teuren Telefonleitungen besser auszunutzen und die Einnahmen zu steigern, gab es viele Versuche, auch Musik zu übertragen. Von den zuständigen Postbeamten wurde aber eine Nutzung immer abgelehnt mit dem Argument, die Nachrichtenübermittlung sei wichtiger, eine Opernübertragung würde nur den normalen Betrieb stören. Eine Erfindung aber löste dieses Problem: ein zusätzliches Gerät am Telefonanschluss unterbrach bei eingehendem Gespräch die Musikübertragung.
Gegen viele Widerstände aus dem Reichspostministerium setzten die Bayern ihre Visionen um: im Nationaltheater wurde an jedem Pult im Graben ein Mikrofon installiert, auf der Bühne noch einmal 40; die durch insgesamt 120 Mikrofone aufgenommen Signale wurden durch einen Verstärker geschickt und ins Telefonnetz eingespeist. Im Juni 1924 fand mit der Walküre die erste Präsentation für die Presse statt: die Journalisten waren begeistert über Klangqualität und Durchhörbarkeit, Abonnenten wurden geworben und am 1. Oktober 1924 begann die tägliche Übertragung. Später wurde auch das Odeon verkabelt und man konnte ebenso die Akademiekonzerte am Telefon verfolgen. Am Marienplatz gab es sogar eine Opernhörstube: „Ein Dutzend viereckiger Tische, umstellt von acht bequemen Polsterstühlen, füllt den saalartigen Raum aus. Auf jedem Tisch steht ein Apparat mit acht Telefonkopfhörern; es ist also die Möglichkeit vorhanden, daß 96 Personen zugleich … den Opernaufführungen der bayerischen Staatsoper lauschen können, als Entgelt soll pro Stunde 50 Pfennige Eintritt verlangt werden.“ Ab 1925 konnte man hier sogar stereo hören.
Über das bayernweite Angebot informiert eine Werbeanzeige von 1930: „Das Opern-Telefon überträgt das Programm der Bayerischen Staatsoper: also innerhalb der Spielzeit allabendlich ein Werk (auch die Festspielopern im August und September). Ferner sind im Winter die zehn Abonnementskonzerte der Musikalischen Akademie zu hören. Endlich … werden täglich von 11–12 Uhr die besten, musikalisch hochwertigen Schallplatten übertragen. Einmalige Gebühren: im einfachsten Falle 47 Mark, laufende Gebühren: monatlich 40 Pfennig …“
Aber der Siegeszug des Rundfunks war nicht zu stoppen. Auch dort wurden Opern- und Konzertübertragungen angeboten (und natürlich nicht nur aus München!) und so stagnierten die Abonnentenzahlen für „Oper am Telefon“ auf unrentablen 3500. Als dann auch noch die Künstler einen Teil der Einnahmen beanspruchten, stand das Projekt vor dem Aus und wurde 1930 eingestellt.
Bildnachweis: Aus: 150 Jahre Bayerisches Nationaltheater, Hrsg: Generaldirektion der Bayerischen Staatstheater, C. Hirth’s Verlag G.M.B.H., München, 1928